Domorganist in Linz

Als am Morgen des 13. November 1855 der Orgel- und Klavierstimmer Alfred Just aus Linz den Herrn Stiftsorganisten Bruckner in St. Florian antraf, da war er nicht wenig erstaunt. Sollte doch am gleichen Tage durch ein öffentliches Orgelwettspiel im Linzer Dom die Besetzung der dortigen Organistenstelle entschieden werden. Verschüchtert durch die misslungene Bewerbung um Olmütz hatte Bruckner sich gar nicht mehr getraut, in Bewerbung zu treten, obwohl er längst als der beste Organist landaus und landein bekannt war. Durch dringliches Zureden brachte ihn Just aber schließlich doch dazu, dass er "wie er ging und stand, im kurzen Röckerl", mit dem nächsten Wagen nach Linz hineinfuhr. Der erste Besuch galt dort seinem ehemaligen gestrengen Orgellehrer Dürrnberger, welcher die Prüfung zu leiten hatte. Der ließ seinen zaghaften ehemaligen Schüler gar nicht mehr los, versprach, in St. Florian, wo man auch von dieser Bewerbung nichts wusste, alles aufs beste zu regeln, und schleppte den immer noch bedenklichen Bruckner eigenhändig zur nachmittägigen Bewerbung in die Iganatiuskirche. Sämtliche angemeldeten Orgelspieler versagten bei der Bearbeitung ihres unmittelbar vor dem Spiel bekanntgegebenen Orgelthemas. Da zwang Dürrnberger mit den gebieterischen Worten: "Tonerl, du musst, du musst!" Bruckner auf die Orgelbank. Kaum hatte er die Finger auf den Tasten, so war jede Befangenheit von ihm gewichen. In der kunstvollsten Gestaltung es gestellten Themas erwies er wahrhaft geniale Meisterschaft. Die gestrenge Prüfungskommission wie sämtliche Mitbewerber neigten und beugten sich widerspruchslos in tiefer Ergriffenheit vor solch überwältigender Überlegenheit. Und der gefährlichste Mitbewerber reichte Bruckner die Hand mit dem rührenden Bekenntnis: "Du bist der Tod aller!"
Der Abt von St. Florian stimmte diesmal mit Freuden zu. Bruckner wurde Domorganist in Linz und spielte am Maria-Empfängnis-Tage 1855 zum ersten Male beim Hochamte.

Quelle: Hans Commenda: Geschichten um Anton Bruckner", Verlag H.Muck