Seelenarzt

Wenn der Linzer Bischof Franz Rudigier, ein sehr frommer, aber auch sehr streitbarer Diener der Kirch, sich wieder einmal von Sorgen und Aufregungen arg bedrückt fühlte, ließ er sich von Bruckner auf der Orgel vorspielen, um die seelische Fassung wieder zu gewinnen. Bruckner drückte das einmal so aus: "Der Herr Bischof braucht halt wieder amal a Kur. Wissen S’, wann er so ganz voll Ärger is, daß er si(ch) nimmer auskennt, dann ruaft er mi(ch). Wann i dann a Stund an der Orgel sitz und eahm war vorspiel, is er allemal glei wieder gsund, sagt er."
Nach solch einer musikalischen Tröstung saß der Bischof einst noch lange in tiefen Gedanken. Dann trat er zu Bruckner, ergriff seine beiden Hände und sprach mit feuchten Augen: "Lieber Bruckner, ich habe nachgedacht, womit ich Sie für einen solchen Genuß würdig belohnen könnte. Ich habe es gefunden. Ich versprechen Ihnen hiemit eine Grabstätte, wo sie Ihnen am liebsten sein wird: unter unserer Orgel!"
Tatsächlich fand Bruckner unter einem von Crismann gebauten Werk seine letzte Ruhestatt. Freilich liegt er nicht unter der Linzer, sondern unter deren größerer Schwester, der Florianer Orgel, begraben.

Quelle: Hans Commenda: Geschichten um Anton Bruckner", Verlag H.Muck