Im Orgelfach nur "gut"

Der sechzehnjährige Bruckner besuchte 1840/40 den "Präparandie-Kurs" (Lehrerbildungsanstalt) in Linz und beendete ihn mit vorzüglichen Erfolge. Nur im Orgelfach erhielt er am 30. Juli 1841 bei der öffentlichen Musikprüfung an der k. k. Normalhauptschule zu Linz bloß die Note "gut". Diese Begutachtung empfand Bruckner, der zeitlebens viel auf Prüfungen und Zeugnisse hielt, als drückende Schmach. So ruhte er denn nicht eher, bis sie getilgt war.
Als er nun 1845 die Schlußprüfung für Oberlehrer an Hauptschulen in Linz ablegte, bat er beim Orgelkonkurse seinen einstigen gestrengen Professor Dürrnberger um ein schwieriges Thema. Das führte er denn kontrapunktisch in Form einer Improvisation so meisterhaft durch, daß der entzückte Dürrnberger, längst selber ganz bestürzt über sein einstiges "gut", mit tausend Freuden nun ein großes "sehr gut" in das Prüfungszeugnis des glückstrahlenden Bruckner schrieb.
Giuseppe Verdi, der größte Opernkomponist Italiens, wurde einst bei der Aufnahmsprüfung in die Musikhochschule von Mailand als "vollständig unmusikalisch" zurückgewiesen. So schlimm ist es nun Bruckner nicht ergangen. Immerhin bleibt es ein seltsamer Spaß der Geschichte, daß der größte Orgelmeister und Improvisator seiner Zeit und vielleicht aller Zeiten bei seiner ersten Prüfung "im Orgelfach nur gut" erhielt.

Quelle: Hans Commenda: Geschichten um Anton Bruckner", Verlag H.Muck